Maike: Freya, Du bietest systemisches Coaching für Mütter an, vor allem wenn sie gerade in der Muttertät stecken. Im Oktober leitest Du bei den Ahoi Mamas einen Thementag dazu. Aber was ist das eigentlich, die Muttertät?
Freya: Die Muttertät ist im Grunde eine Lebensphase, genau wie die Pubertät - eine Identitätsentwicklung. Die entspechenden Veränderungen im Gehirn sind mittlerweile sogar durch bildgebende Verfahren nachgewiesen.
Maike: Und in welchem Zeitraum findet sie statt?
Freya: Sie beginnt mit dem Einsetzen der vollen Fürsorgeverantwortung - bei manchen nach der Geburt, bei anderen in der Schwangerschaft und teilweise sogar schon mit einsetzendem Kinderwunsch. Die intensivste Zeit sind die ersten zwei bis drei Jahre nach der Geburt des Kindes, aber ein Ende dieser Lebensphase ist nicht wirklich gesetzt - im Grunde geht sie so lange, wie man Fürsorge betreibt.
Maike: Was genau passiert denn in der Muttertät?
Freya: Auf 5 unterschiedlichen Ebenen finden Veränderungsprozesse statt: biologisch, psychologisch, sozial, kulturell und spirituell. Biologisch gesehen verändert sich neben dem Körper von Gebärenden vor allem auch die Hirnstruktur und das Hormongleichgewicht aller Eltern. Aus psychologischer Sicht ändern sich Gedanken und Gefühle dazu, was der Person wichtig ist und wie sie ihre Welt wahrnimmt. Die soziale Komponente bezieht sich auf Beziehungen - wie verändern sich diese, welche werden tiefer, welche fallen eventuell sogar weg. Mit kulturellen Veränderungen ist der Status von Eltern in der Gesellschaft gemeint. Fürsorge-Arbeit wird meistens als selbstverständlich angesehen, obwohl sie so anspruchsvoll ist und unglaublich viel Energie fordert. Das kann gerade für Mütter sehr frustrierend sein. Als letzer Punkt wird in der psychologischen Forschung die persönliche Spirutualität betrachtet, die sich sowohl vertiefen als auch verändern kann. Wir sind auf gewisse Weise durch unsere Kinder noch mal anders mit der Welt verbunden - daraus entsteht häufig eine Sehnsucht, das auch zu würdigen und im eigenen Leben spürbar und sichtbar zu machen.
Maike: Wenn Du all das beschreibst, klingt es, als würden diese Veränderungsprozesse auch für den Vater gelten können?
Freya: So ist es! Auch Väter, Co-Mütter, Adoptivmütter und alle anderen Personen, die in eine Phase der vollen Fürsorgeverantwortung gehen, durchleben diese spannende Reise. Je enger der Kontakt ist, desto mehr Oxitocin wird ausgeschüttet - das führt zu deutlichen Veränderungen in der Hirnstruktur. Dadurch werden wir zum Beispiel aufmerksamer, entwickeln ein stärkeres Risikobewusstsein oder feinere Antennen für die Gefühle und Bedürfnisse anderer. Bei diesem Umbau kickt der Körper quasi alles an Nervenverbindungen raus, was unwichtig geworden ist und strafft so die neuronalen Prozesse: Das Gehirn wird schlanker und schneller. Das ist tatsächlich die gleiche Art von Umstrukturierung wie in der Pubertät und hat auch den gleichen Umfang.
Maike: Bedeutet das, dass es den sogenannten "Mutterinstinkt" gar nicht gibt?
Freya: Genau das bedeutet es. Es ist erwiesen, dass beide Elternteile gleichermaßen fürsorglich mit dem Kind sein können, wenn sie sich beide zu gleichen Teilen verantwortlich fühlen. Meine Mentorin sagte damals: "Nachts aufzuwachen ist eine Entscheidung." Bedeutet: Wer sich verantwortlich fühlt, wird auch aufwachen, wenn das Kind Geräusche von sich gibt - weil das Gehirn sich auf diese neue Anforderung einstellt. Das hat nichts mit einem angeborenen "weiblichen Instinkt" zu tun.
Maike: Was bedeuten diese Veränderungen denn für die Partnerschaft?
Freya: Ich sehe es so, dass es eine große Chance für die Partnerschaft sein kann, noch enger zusammen zu wachsen. Tatsächlich klappt das am besten, wenn beide sagen können, was sie fühlen, brauchen und sich wünschen. Dazu gehört aber natürlich erstmal, dass sich beide überhaupt darüber bewusst sind, was sie fühlen, brauchen und sich wünschen. Und genau da komme ich mit meiner Arbeit ins Spiel. Ich coache die Mütter darin, sich in ihrer neuen Lebensphase zurecht zu finden. Die Bandbreite und Intensität der Gefühle in der Mutterschaft ist gigantisch - ich ünterstütze sie darin, in diesem Urwald Klarheit für sich zu schaffen. Wichtig ist dabei auch, die Bedürfnisse dem Partner gegenüber nicht als Vorwurf zu formulieren, sondern als Ich-Botschaft zu senden: "Wenn ich heute die komplette Verantwortung trage, fühle ich mich überfordert" klingt anders als "wenn Du mich heute wieder alleine lässt, dann schaffe ich das nicht."
Maike: Seit wann laufen eigentlich die Forschungen zu diesem spannenden Thema?
Freya: Tatsächlich erst seit 2008. Die ersten neuropsychologischen Forschungsergebnisse auf Basis von bildgebenden Verfahren stammen von 2013. Zum Glück wächst die Forschung in diesem Bereich stetig, sodass es mittlerweile einiges mehr an belastbarem Wissen zur Matreszenz (so heisst sie im Fachjargon) gibt, aber es sind natürlich noch viele weitere Fragen offen.
Maike: Gibt es noch etwas, das Dir besonders wichtig ist, zu sagen?
Freya: Oh ja. Ich wünsche mir für alle Mütter so sehr, dass sie sich vom äußeren und inneren Druck lösen können, irgend etwas beweisen zu müssen. Denn dann können sie anfangen, neugierig zu werden - auf das, was sie und ihr Kind gerade brauchen. Auf das, was zu ihnen passt. Was sich jetzt gerade richtig anfühlt. Das ist so eine tolle Chance, sich selbst zu entdecken: Als die Frau, zu der sie sich als Mutter weiterentwickeln.